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Botschaftsempfang
Empfang beim DDR-Botschafter in Peking
Anlässlich des 10. Jahrestages der DDR und zu Ehren der Gastspielreise
der Dresdner Philharmonie gab der Botschafter im großen Saal des
Hotels „Peking“ einen Empfang.

Paul Wandel, 1958–1961 Botschafter in Peking
Hier: Eröffnung
der Humboldt-Universität Berlin am 29.07.1946 (Bundesarchiv, Bild 183-R84290
/ CC-BY-SA)
Eingeladen waren alle in Peking akkreditierten Botschafter, Attaché
und Würdenträger mit ihren Ehepartnern.
Von unserer Philharmonie hatte der Botschafter 15 Kollegen eingeladen,
voran die Leitungsebene, Funktionsträger und einige Musiker. Davon
möchte ich einen Kollegen besonders benennen, unseren Orchesterdirektor
Kammervirtuos Zirkler, der eine einmalige Geschichte an diesem Abend erlebte.
Im Hotel betrat man zunächst das untere Entree, lief danach ca.15
– 20 Stufen nach oben in den Saal. Als wir eintrafen begrüßte
uns der Botschafter einzeln oberhalb der Treppe und stellte uns einigen
bereits anwesenden Personen vor.
Wir traten in den Saal, er war ca. 40 m lang und 25 m breit. Lange Tischreihen
an den Seitenwänden und drei oder vier Tischreihen im Saal waren
voll eingedeckt mit den erlesensten Speisen. In den jeweiligen Ecken standen
Köche hinter den Tischfritteusen und reichten den Gästen warme
Essen und ganz spezielle, besondere Speisen. Die langen Tafeln eingedeckt
mit exotischen Besonderheiten, belegten Platten und alle Varianten an
Desserts. Das Ganze eine riesige Festtafel, so dass einen beim Anblick
der köstlichsten Speisen das Wasser im Mund zusammenlief. Mich erstaunte,
dass zu dieser Zeit alles aufs Modernste bei den Chinesen eingerichtet
war. Nach und nach füllte sich der Saal und da es ein Stehbankett
war, konnten sich alle ungezwungen bewegen. Was aber das besondere für
mich war: alle Personen kamen in ihren Nationaltrachten, Uniformen und
national-geprägten Gewändern. Ein derartig farbenprächtiges
und bunt gemischtes Bild hatte ich ehrlich gesagt noch nie gesehen. Afrikaner,
Inder, Europäer, Ostasiaten, alle in ihrer traditionellen Nationalkleidung.
Es sah aus wie im Märchen "Tausend und eine Nacht".
Zu Beginn hielt der Botschafter eine kurze Begrüßungsansprache,
er begrüßte uns besonders. Einige Toaste wurden ausgebracht,
das übliche zeremoniell. Bei allem hin und her entstand ein Gewirr,
es müssen insgesamt an die 200 – 250 Personen gewesen sein.
Kleinere Gruppen bildeten sich, die Gespräche führten. Alles
ein phantastisches Bild. Bei solchen Anlässen wird traditionell zur
Begrüßung Sekt gereicht, so auch an diesem Abend.
Die wunderschöne und hübsche Inderin
Nach dem sich jeder ein wenig akklimatisiert, und nachdem das erste Gläschen
Sekt jeder geschlürft hatte, stand vor mir plötzlich rücklings
eine Inderin. Sie hatte ein leeres Glas in der Hand und suchte ein bisschen
hilflos wo sie dieses Glas abstellen könnte. Ich beugte mich zu ihr
– von der Größe her reichte sie mir gerade mal bis an
die Schulter – sagte, da ich keine Fremdsprache beherrsche und mir
französisch am ehesten international möglich schien, galant
(quasi bittend) zu ihr: "Madame", nahm ihr das Glas ab, winkte
einen Kellner herbei und reichte ihr ein neues volles Glas. Bereits beim
Abnehmen des Glases schaute sie mich ganz erstaunt, aber irgendwie glücklich
an, dass ihr das Glas jemand abnahm. Danach – als ich ihr das neue
Glas reichte – schaute sie mich mit einem glutvollen Blick, und
mit ihren zauberhaften, dunkelbraunen Augen geradezu verliebt an, dabei
mir tief in die Augen schauend.
Ein so bildhübsches, typisch indisches Weib sah ich aus nächster
Nähe noch nie. Sie sah nicht nur hübsch aus, sondern bot ein
graziles Bild mit dem üblichen Diadem auf der Stirn und dem dunkelroten
Mal auf ihrer rechten Wange. Ihren Sari trug sie mit besonderem Charme,
tief dekolletiert, so dass ich auf ihre zarten Brüste schauen konnte.
Mit ihren zierlichen Füßen lief sie barfüßig in
Sandalen. Damals war ich dreißigjährig und bei solch einem
Anblick schlägt jedes Männerherz höher. Im Stillen dachte
ich: ein Tete-a-Tete mit ihr würde ich nicht abschlagen. Sie schaute
mich ebenso überrascht und wie gesagt fast verliebt an, möglich
dass sie so einen stattlichen Mann wie mich auch noch nicht gesehen hat.
Bei diesem transzendenten Gedankenspiel meine ich, dass ähnliche
Gefühle bei ihr abliefen.
Die Diplomaten – oder Diplomatinnen
Beiläufig schaut man bei so einer gemischten bunten Gesellschaft
auf einzelne interessante Personen und fragt sich, was der oder die wohl
vertreten, welchen Staat sie hier präsentieren. Meinen Dolmetscher
Djin, der in respektvoller Entfernung stand, winkte ich einmal zu mir
heran und bat ihn, mir den oder jenen Vertreter zu schildern, welches
Land er vertritt oder welche Position er innehat.
Ein relativ hoch gewachsener Herr fiel mir auf, er trug wie der Dalai
Lama den gleichen Überhang, hatte aber darunter einen europäisch
hellgrauen Anzug. Ich fragte Djin, wer das sei. Darauf sagte er mir: es
sei der "Panchen Erdeni" aus Tibet! Erstaunt schaute ich mir
diesen Mann an. Bis dato hatten wir immer nur vom "Dalai Lama",
als den höchsten Vertreter, dem Oberhaupt Tibets gehört. Dann
sagte er mir, der Panchen Erdeni sei das zweithöchste, aber weltliche
Oberhaupt der Tibeter, er sei sozusagen der Premierminister des Staates.
Dazu muss ich sagen, dass 1959 Tibet noch nicht von den Chinesen okkupiert
war.
Da es ein Stehbankett war, jeder sich frei und ungezwungen bewegen konnte,
fand an den gedeckten Tafeln (sie waren jede ca.25 m lang) ein normales
Durcheinander statt. Beobachtend bemerkte ich, dass einige ziemlich amüsant,
aber genüsslich bei den "Wiener Würstchen" (damals
"Halberstädter" aus der DDR) zulangten. Für viele
sicher eine ungewohnte Speise!
Da wir bereits in den ersten Tagen, was das Essen betraf, stark verwöhnt
wurden, konnte man nur von dem oder jenem naschen. Das Angebot auf den
Tafeln alles ausgesuchte Delikatessen und Spezialitäten. Köche
und Servierkräfte halfen den Gästen, beluden die Teller und
man musste aufpassen, dass man nicht zu viel von einer Speise aufgelegt
bekam.
Das Bankett dauerte ca. 3 Stunden. Langsam begann sich alles der Etikette
nach aufzulösen.
Zirklers besondere Geschichte
Wie ich eingangs bemerkte, traf unseren Orchestersekretär Zirkler
ein besonderes, unvergessliches Erlebnis. Der DDR-Botschafter stand oben
an der Treppe und - nachdem er nochmal die Konzerttournee in seiner Abschlussrede
extra würdigte – waren wir die ersten die er per Handschlag
verabschiedete. Alle geladenen Philharmoniker stiegen die Treppe hinunter
und wir postierten uns an der linken Seite. Jeder wollte noch einmal von
dem farbenfrohen Bild, den eigenartigen, unterschiedlichen Nationaltrachten,
etwas erhaschen.
Unser Zirkler – natürlich trug jeder einen Festanzug –
postierte sich direkt an der linken Seite der Treppe, um hautnah zu erleben,
wie die aus zahlreichen Ländern kommenden Persönlichkeiten herabsteigen.
Mag sein, dass er so positioniert stand, dass der erste ausländische
Botschafter der herabstieg – oben persönlich vom DDR-Botschafter
verabschiedet – nicht wusste, wer der Herr ist der an der unteren
Treppe stand. Er zögerte einen Moment – gibt aber dann dem
Zirkler die Hand, im Hinterkopf wahrscheinlich mit dem Gedanken: ehe es
zu diplomatischen Verwicklungen kommt, schüttelst du diesem Herrn
lieber die Hand.
Zirkler, selber total überrascht, gab ihm ebenso zögernd die
Hand. Er wusste nicht wie er sich verhalten sollte. Dann passierte folgendes:
die, welche hinter dem ersten Diplomaten kamen wussten natürlich
auch nicht wer der Herr sei, schüttelten ihm die Hand, so dass er
gezwungen war, ebenso allen die Hand zu geben. Wir, die wir mit Abstand
dahinter standen riefen immer nur: "Durchhalten, Zirkler! Durchhalten."
So ging es mit "Küss die Hand gnä' Frau" und "Salut
Monsieur" weiter bis zum Ende der Zeremonie. Alle die herunterkamen
schüttelten ihm eifrig die Hand. Da über zweihundert Personen
verabschiedet wurden, nahm das Debakel, in das er geraten war, kein Ende.
Und nun kommt etwas, was uns der Dolmetscher im Nachhinein sagte, in China
gibt es ein Sprichwort das lautet: "Wenn du einem Freund die Hand
gibst, dann wasch` sie dir nicht."
Als das publik wurde, hieß es nur noch bei den Kollegen: "Zirkler,
ab jetzt müssen sie mit erhobener Hand durch China fahren."
Selbst Prof. Bongartz amüsierte sich köstlich ob der Situation,
denn das war ein so seltsames Erlebnis, selbst für einen erfahrenen
Menschen wie Zirkler. Solche Vorgänge erlebt man nur ein einziges
Mal im Leben.
Das muss man sich vorstellen: da steht ein Herr aus Deutschland den kein
Mensch kennt, und schüttelt über 200 Leuten aus allen Teilen
der Welt die Hand. Er kann aber auch nicht ausweichen, oder weggehen,
das wäre gleichermaßen undiplomatisch gewesen.
In solchen Momenten spürt jeder wie klein die Welt sein kann. Man benötigt
weder Grenzen noch lassen sich die unterschiedlichen Völker voneinander
trennen.
Wir leben als Menschen auf einem einmaligen, einzigartigen Globus, gehören
alle zusammen und müssen versuchen, Ressentiments zu überwinden.
In Dresden, als dies bekannt wurde, amüsierten sich alle über
diese Begebenheit. Für unser manchmal sehr reserviertes, teils auch
zurückhaltendes Konzertpublikum hatte Zirkler auf jeden Fall einige
Lacher auf seiner Seite!
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