Von Taijuan nach Xian


Reise durch ein wundervolles, interessantes Land

Die Weiterreise begann zunächst ohne Prof. Heinz Bongartz und den Solisten, da sie in Peking noch Liederabende mit Klavierbegleitung gaben. Die Solisten begleitete Bongartz persönlich. Damit war ich auf eigene Füße gestellt, musste repräsentieren, verhandeln und Gespräche führen mit unseren Gastgebern.

An den ersten Konzertort Taijuan erinnere ich mich am wenigsten. Überall wurden wir aber mit großer Begeisterung empfangen.




Die Konzerte für uns Routine, von den Chinesen interessiert und begeistert aufgenommen. In allen Konzertorten gab es fast das gleich Ritual: offizielle Begrüßung auf dem Bahnhof, gemeinsame Abfahrt ins Hotel, Zimmer aufsuchen, danach gab es immer ein original chinesisches Bankett, mit Essstäbchen in mehreren Gängen!
Diese Bankette dauerten meist zwei bis drei Stunden. Dazu die Toaste mit "Gan bei!", dem chinesischen Trinkspruch. ("Gan bei" heißt so viel wie bei uns "Zum Wohl!" oder "Prost!")

"Mao Tai" (auch Maotai, oder Mautai geschrieben) wird in einem Ort hergestellt der diesen Namen trägt. Er wird meist aus Weizen, oder Hirse gebrannt. Mir sagte Djin, dass wir Reisschnaps trinken würden. Dieser wird aber nur in Peking produziert. Auf die Art des Schnapstrinkens komme ich noch zu sprechen. Wenn Chinesen spüren, dass ein Gast gern mittrinkt, dann muss man aufpassen, dann geht "Gan bei"! in einem fort.

Alle Gastgeber von ausgesuchter Höflichkeit, mit asiatischem Gepräge und Gepflogenheiten. Man gewöhnt sich sehr schnell an andere Sitten und Gebräuche und es wurde uns auch leicht gemacht mit ihrem chinesischen Organisationstalent.

Bei allen Anlässen war mein Dolmetscher zur Hand - ich hatte ihm zwischenzeitlich das Du angeboten, das fortwährende "Herr Geißler" war ich Leid und sagte zu ihm: "Sag' einfach Siegfried zu mir und ich sage Djin zu Dir!" Glücklich schaute er mich an, dass ich ihm so viel Vertrauen schenke, sein Gesicht strahlte geradezu – so dass ich bei Übersetzungen keine Probleme hatte. Wie wichtig ein guter Dolmetscher ist wird sich noch herausstellen. Was für mich wichtig war beim Übersetzen, ich sagte zu ihm: "Ich spreche nur ein paar Wörter, oder kurze Sätze, dann versuchst Du wörtlich zu übersetzen". Kurze Passagen sind sinnvoller als lange Sätze, die sich ein Dolmetscher kaum merken kann und dann lediglich sinngemäß übersetzt.
Das hat sich bezahlt gemacht, wie ich später noch feststellte.


Reise nach Xian

Nach den Konzerten in Taijuan fuhren wir – nach dem nunmehr schon üblichen chinesischen Abschiedsbankett – noch abends in Richtung Xian.
Xian (auch Sian), eine der berühmtesten, eigenständigen, aber freien Städte in Mittelchina, liegt im Bezirk Shanxi.

Nachts mit dem Zug zu fahren, kann genauso interessant sein, wie tagsüber. Da ich ein schlechter "Schlafwagen-Schläfer" bin, legte ich mich noch nicht in unserer Kabine ins Bett.
Am Zugfenster hinausschauend zog die Landschaft schemenhaft an mir vorüber. Weit und breit kein Lichtschein zu sehen. Keine leuchtende Laterne, keine beleuchteten Häuser, oder Dörfer, nichts, nichts. Es war absolut alles dunkel, nur ab und zu sah ich am Boden stark rotglühende Karrees. Meiner Schätzung nach könnten sie 10 x 20 m im Quadrat gewesen sein. Das kann nachts und während der Fahrt sehr täuschen. Einige Arbeiter sah ich am Werkeln, konnte mir aber nicht vorstellen was sie da machen oder woran und wofür sie arbeiten. Mir bot sich ein gespenstisches, aber faszinierendes Schauspiel.

Anderen Morgen kam Djin zu mir und sagte: "Schauen sie bitte alle zum Fenster hinaus, wir überqueren bald den Huang He, den Gelben Fluss." Gespannt blickten wir was da kommt. Tatsächlich sahen wir bald darauf den Fluss, mit seiner gelb-bräunlichen Farbgebung. Djin sagte stolz zu mir, es sei der zweitlängste Fluss Chinas, ca. 4800 – 5000 km lang. Dieser Fluss entspringt im tibetischen Hochland und quert im Zick-Zack-Kurs China, mündet dann in das Gelbe (ostchinesische) Meer. Die gelbliche Farbe des Flusses stammt von den in Westchina gelegenen Lössböden, die durch Ausschwemmungen dem Fluss ihren Namen gaben.


Eisenherstellung

Da ich wissen wollte was ich nachts gesehen hatte, fragte ich nach diesem Phänomen.
Er sagte zu meiner Frage ganz schlicht: "Da wird Eisen gegossen." "Eisen?" fragte ich ungläubig zurück. "Ja, Eisen! Fast jede Volkskommune muss das machen. Sie sind quasi Selbstversorger, weil es noch nicht so viele fortgeschrittene Industriebetriebe bei uns gibt." Nach wie vor erstaunt über das nächtliche Schauspiel, konnte ich mir das alles nicht so richtig vorstellen.

Er erklärte mir die Handhabung. Auf einem möglichst festen Lehmboden wird Kohle aufgeschüttet, dann ein Feuer entzündet und auf die Glut stellt man Behälter, es müssen leere ziegelartige Tongefäße gewesen sein. In diese wird dann, wenn die Glut stark genug ist, Roheisen eingelegt und zum Schmelzen gebracht. Diese primitive Art etwas herzustellen ist für einen Europäer kaum fassbar.
Bitte daran zu denken, dass das was ich hier berichte im Jahr 1959 stattfand!


"Faule Eier"

Apropos: Lehmboden?
In welchem Ort, oder zu welchem Bankett das war, erinnere ich mich nicht mehr. Auf jeden Fall gab es einmal zu einem chinesischen Bankett auf einer gemischten Platte u.a. "Faule Eier". Bei uns nur sprichwörtlich bekannt. Zunächst, nachdem wir gefragt hatten was das sei, und man uns sagte: "Das sind eingelegte Eier", rümpften einige Kollegen die Nase und wagten sich kaum an die Speise.

Für mich persönlich habe ich in meinem Leben in allen Ländern und Regionen immer das gegessen was angeboten wurde, gleich was es war. Dabei musste ich feststellen, dass Nationalgerichte und die einfachsten Speisen immer sehr schmackhaft und genießbar sind. Die Eier sahen leicht bräunlich-grün aus! Einen besonderen Geschmack konnte ich beim Kosten nicht herausfinden, trotzdem ergab es einen interessanten Geschmack und ich aß zwei Stück davon. Die Eier sind weich, aber in sich fest von der Substanz her.

Natürlich wollte ich von Djin wissen wie die Eier hergestellt werden. Er erzählte mir, dass die Eier im rohen Zustand in Lehmboden, ca. 1 m tief eingegraben und dort ein bis zwei Jahre konserviert werden. Durch diese Methode bekommen sie die Konsistenz und halten sich somit jahrelang. Zudem wirkt der feuchte Lehmboden wie eine Kühlkammer, so dass Lebensmittel haltbar bleiben, was bei dem Klima in China angebracht ist. Eine uralte Methode, Essbares oder andere Waren zu erhalten, quasi auch als Reserve bei schlechten Ernten, oder um über schlechte Zeiten zu kommen.


Chinesische Landschaften

Im weiteren Verlauf der Fahrt nach Xian sah ich die für China berühmten terrassenförmig angelegten Reisfelder.
Auch solche Bilder sind für uns ungewöhnlich und immer wieder faszinierend.



Reisterrassenfelder

Beeindruckend wenn man vom Zug aus die Menschen arbeiten sieht. Mit ihren Wasserbüffeln, barfüßig im seichten Wasser arbeitend, dabei mühevoll den Pflug führend, zogen sie durch die Felder. Die Landschaft für uns selbst oft grotesk.
Eisengießen, Wasserbüffel, Frauen die im Wasser Reisstecklinge setzen – alles unglaubliche Erlebnisse und Eindrücke!

Als Beispiel möchte ich noch chinesische Bilder zitieren, welche Landschaften und Gewohnheiten widerspiegeln: man schaut auf eine sanfte Felsenlandschaft, die Bäume wachsen schräg aufwärts, die Berge selbst merkwürdig in ihrer Formung.
Seltsam anmutende, für uns vollkommen fremd wirkende Landschaften.

Wie lange die Fahrt dauerte ist schwer zu sagen. Es müssen an die 800 km gewesen sein. Der Empfang auf dem Bahnhof in Xian natürlich von den entsprechend Verantwortlichen: Partei-, Kulturfunktionäre, Bürgermeister usw.

Im Hotel gab es dann grundsätzlich die Gespräche über Aufenthalt, Termine, Versorgung und ---- das chinesische Empfangsmenü! Interessant ist es wie in jedem Bezirk, oder in jeder Provinz, der Landessitte entsprechend, Essenssortimente, Essensgewohnheiten gereicht wurden. Nie langweilig! Diese Essen mit Genuss einzunehmen, neue Geschmacksrichtungen kennen zu lernen, davon kann man nur mit großer Hochachtung sprechen.

Abgesehen von der jeweiligen Küche gab es geradezu künstlerische Exponate, wie nachstehende Fotos zeigen. Bei diesem angerichteten Tisch bestand alles aus geschnitzten Rüben. Darin sind die Chinesen große Meister.


    
Rüben-Schnitzereien


Am Empfangsabend natürlich Chinesische Oper!
Darauf komme ich noch zu sprechen.

In Xian dirigierte ich zwei oder drei Konzerte.

Mitten in China, quasi mit viel Land um den Ort herum, mussten beiläufig Volkskommunen besichtigt werden. Der Empfang auf dem nachstehenden Bild verlief noch glimpflich, gegenüber einem Empfang den ich erlebte, wo es drei bis vier Meter über mir krachte und ballerte, so dass ich dachte meine Haare brennen ab und gehen hinüber. Sie zündeten über mir ein typisch chinesisches Kleinfeuerwerk ab, nicht bedacht was da alles passieren könnte.



Links: mein Dolmetscher Djin, dann ich und ein Funktionär


In einer Schule

In einer solchen Kommune führte man mich in eine Schule. Wir betraten ein Klassenzimmer. Ich schaute verwundert, dass hier auf allen Bänken Mikroskope standen. Beim näheren Hinschauen entdecke ich, dass eines dastand: "Made in Japan"! Ich fragte Djin: "Ach, die habt ihr alle in Japan gekauft?" Darauf er: "Nein! Nur eines. Die anderen haben wir selber hergestellt." Damit erlebte ich, neben den Pullmanwagen, ein weiteres Mal wie "fleißíge" Chinesen alles "abkupfern"!

Trotzdem frappierte mich, dass in so einer einfachen Dorfschule die Kinder mit den modernsten Mitteln ausgestattet unterrichtet wurden. Bald wurde uns allen klar, dass schon zu dieser Zeit die Chinesen sehr wissbegierig, fleißig, aber auch zäh und ausdauernd sein können.

Zunächst überraschte mich das Hotel. Der auf dem Bild gezeigte Bau war der vorderste Teil des gesamten Hotels. Der gleiche Bau ca. 75 m dahinter. Kurios!



Hotel

Um dahin zu gelangen mussten wir jeweils durch den ersten Bau durchlaufen. Djin führte mich auf mein Zimmer. Als ich es betrat, sagte ich: "Wo ist denn mein Zimmer?" Er meinte nur: "Das ist es!" Es bestand aus einem kleinen Vorraum, einem Arbeitszimmer, ca.30-36 m², dem Schlafzimmer und einem phänomenal großen Badezimmer. Quasi ein Appartement! Ich sagte zu Djin: "Mir genügt, wenn ich ein einfaches Hotelzimmer bekomme." Er meinte nur: "Nein! Sie sind der Chef und ihnen steht das zu. Es wäre so angeordnet." Na gut, dachte ich, dann lebst du hier wie in einem Film.

Als Bongartz eintraf (mit dem Flugzeug) sagte ich zu ihm: "Herr Professor, heute lade ich Sie in mein Zimmer zum Dienstgespräch ein." Als er und die verantwortlichen Kollegen ankamen staunten sie nicht schlecht. In diesem Zimmer gab es außer einem riesigen, fast antiquarischen Schreibtisch, eine Sitzgarnitur für 10 Personen, ein Buffet oder Anrichte, auf der stand immer eine große Tasse mit grünem Tee und eine Obstschale mit allen möglichen Südfrüchten. Ich sagte es schon: ich kam mir vor wie ein Nabob, dem nur noch ein kleiner Junge fehlt mit einem Palmenwedel. Der Tee, vom Aroma her einmal mit Jasmin-Blüten aromatisiert, dann wieder mit anderen Duftblüten. Mir schien es, als wären dauernd "Heinzelmännchen" um mich herum tätig.


Sonderkonzerte

Die Philharmoniker überlegten in den ersten Tagen wie sie sich revanchieren könnten, weil wir nur 24 Konzerte geben sollten. Einige Kollegen meinten, wir könnten doch mit Kammermusikgruppen in Volkskommunen, Schulen oder Dörfern musizieren, natürlich kostenlos.

Als wir dies den chinesischen Verantwortlichen offerierten, zögerten sie zunächst, griffen dann aber dankbar dieses Angebot auf. Die Philharmoniker musizierten in den verschiedensten Orten und zu den unterschiedlichsten Bedingungen.

Unser Soloklarinettist Werner Metzner berichtete nach einem Konzert, sie wären in einem kleinen Industrieort gewesen und hätten in einer Freilichtarena gespielt die mit 63 000 Besuchern gefüllt gewesen wäre. Außerdem sagte er, dass man ihnen berichtete, dass die Fabriken für eine Stunde die Arbeit unterbrochen hätten um per Übertragung durch Lautsprecher – die es in China an allen Ecken und Enden gab – das Konzert zu übertragen. Es sollen insgesamt eine Million Menschen deutsche Kammermusik gehört haben!

Ein Streichquartett zusammen mit dem Soloklarinettisten spielte u.a. das Klarinettenquintett von Mozart! Deutsche Kammermusik in einem abgelegenen Ort in Zentralchina?

Nun kommen wieder die Tischgespräche ins Spiel: Beim Erzählen, was sie alles erlebt hätten in kleinen Orten, in Volkskommunen, also überall wo die Musiker aufgetreten waren, kamen viele kuriose Dinge zusammen.
Als Metzner von den 63 000 und den noch mithörenden in den Betrieben sprach, meinte ein Kollege lakonisch: Wir brauchen in Dresden die nächsten zwei Jahre keine Konzerte mehr zu geben. Wir hätten das "Besuchersoll" bei weitem schon übererfüllt!


Xian, oder Sian, eine prächtige alte Stadt

Nach den schon gewohnten Zeremonien, begannen die Konzerte. Hier muss ich einflechten: In allen Konzertsälen – keiner unter 2000 – 3000 Plätzen – gab es eine wundervolle Akustik. In solchen Sälen zu musizieren ist für ein Orchester von der Qualität der Philharmonie ein Hochgenuss. Es musiziert sich leicht, es klingt von selbst, es ist einfach zauberhaft in solcher Atmosphäre Musik zu spielen und zu hören. Da unsere Konzerte routinemäßig abliefen, hatte jeder Zeit sich Sehenswertes anzuschauen.



Glockenturm


Xian (Sian): Torturm

Xian, eine der ältesten Kaiserstädte Chinas, aus dem 11. Jahrhundert vor Chr. stammend, hatte im Mittelalter eine Millionen Einwohner. Sie ist von riesigen Mauern umgeben mit gewaltigen Tortürmen. Die vier Tore kann man von einer Kreuzung aus wundervoll betrachten. Der abgebildete Glockenturm läutete im Mittelalter früh und abends zu einer bestimmten Zeit. Das war das Zeichen für alle, dass die Zugbrücken, außen liegend, hochgezogen werden. Keiner konnte danach nach außen oder nach innen in die Stadt.

Xian ist außerhalb der Mauer von Wasser umgeben Für Bauern und Händler ein Zeichen zum Verlassen der Stadt. Zur Stadt selbst komme ich noch besonders zu sprechen.


Die archäologisch größte Sensation der Welt

Eines Tages sagte Djin zu mir, dass wir an eine berühmte Stelle fahren würden, es können aber nur wenige Kollegen mitfahren. Wir fuhren an eine Stelle in der Nähe von Xian, an welcher die größte Ausgrabung eines Ausmaßes stattfand, die 1959 noch nicht abzusehen war. Über dem gesamten territorial standen bereits Hallen und man konnte den Anfang der Ausgrabung einsehen. Dass dies einmal der größte, archäologische Fund der Welt sein würde, ahnte damals keiner. Die nachstehend angezeigten Bilder zeigen die nunmehr größte Terrakotta-Armee der Welt. Es sollen zehntausend Krieger sein die man einem Kaiser als Grabbeilage mitgegeben hatte. Keiner der Gesichter gleicht dem anderen, wie man auf dem Bild "Die einzelnen Gesichter" sehen kann.



Terrakotta-Armee


Die einzelnen Gesichter


Die Konzerte verliefen ebenso erfolgreich wie die vorhergehenden. Es gab Ovationen über Ovationen. Bewundernswert die Disziplin des Publikums, die Aufmerksamkeit mit der sie die Musikstücke verfolgten. Für uns alle unglaublich! Und das in einem fernen Land, welches von europäischer Kultur zu dieser Zeit noch herzlich wenig, besser gesagt Garnichts wusste, das aber alles begierig aufnahm was aus einer anderen Welt kam.


Privater Ausflug in eine wundervolle Stadt

Nach vierzehn Tagen, oder drei Wochen hat man das Bedürfnis einmal etwas aus eigenem Antrieb zu unternehmen. Bis dato hatte ich auch kein Geld ausgegeben und wollte die Zeit nutzen, mich persönlich umzuschauen was es so alles in Geschäften gibt. Sehen wollte ich wie sich die Menschen verhalten, wie es in der Stadt zugeht, zumal mir die Stadt sehr interessant vorkam. Ich schlich also eines Nachmittages aus dem Hotel. Musste allerdings durch das vordere Portal hindurchgehen. Der Portier schaute mich etwas erstaunt an als ich da so allein loszog.

Da ich einen guten Orientierungssinn besitze, merkte ich mir natürlich genau wo ich hingehe, welche Strecke ich wählte. An die besagte große Kreuzung kommend, an der sich die zwei riesigen Tangenten der Stadt befanden, sah ich in allen vier Richtungen die riesigen Stadttore. Mich umschauend entdecke ich ein Kaufhaus in dem es alles zu geben schien. Das Kaufhaus betretend suchte ich zunächst nach einem Stand an dem es Handtücher gab. Die chinesischen Hotelbediensteten wuschen natürlich unsere Wäsche, Handtücher gab es in Hülle und Fülle. Ich wollte mir aber welche mit nach Hause nehmen, denn angenehmere als die chinesischen gab es in der DDR nicht.

Hier muss ich einfügen dass in Xian 1959 die Menschen noch nie einen Europäer gesehen hatten. Kaum stand ich an einem Verkaufstresen, versammelte sich eine Menge Chinesen um mich herum, drängelten hin und her, so dass ich mich kaum mit der Verkäuferin verständigen konnte. Chinesen sprechen sehr schnell, palavern gern, verbinden sprachlich aber vieles mit poetischen Worten.

Später sagte mir Djin einmal, dass die Chinesen uns Europäer "Langnasen" nennen. Es wimmelte und plauderte um mich herum, man drängelte mich vom eigentlichen Ort, so dass ich es schwer hatte das zu bekommen was ich mir aussuchen wollte.


Versuch eines sachlichen Einkaufes

Schließlich gelang es mir aus dem Gewühl zwei Handtücher mit herrlichen chinesischen Motiven heraus zu fischen – sie waren ca.140 x 100cm. Dann wollte ich noch für meine Frau eine typisch chinesische Damenjacke aussuchen. Ich fand ein Exemplar, mattgoldfarben mit glänzenden goldenen Schriftsymbolen.

Nun kommt wieder eine Kuriosität: die chinesischen Frauen sind ziemlich klein. Verzweifelt schaute ich, ob ich eine Verkäuferin finde die in etwa die Größe meiner Frau besitzen könnte. Bereits eine Jacke ausgesucht, versuchte ich mit Händen, Füßen und Gestikulieren eine Chinesin zu finden die dieses Kleidungsstück anprobieren könnte um herauszufinden ob es meiner Frau auch passt. In der Zwischenzeit – es müssen 30 Minuten gewesen sein – kam händeringend mein Dolmetscher angerannt und sagte wie ich es gewagt hätte allein durch die Stadt zu laufen. Die Verantwortlichen hätten ihm Vorwürfe gemacht dass er nicht besser auf mich "aufpasst".

Ich erklärte ihm wiederum, dass ich einfach einmal etwas für mich einkaufen wollte. Schon beim Bezahlen der Handtücher bekam ich Probleme. Ich agierte mit Zettel und Stift. Bei der Jacke wurde es noch problematischer. Nunmehr half mir aber Djin und sagte unter anderem, dass die Chinesen gern Feilschen, oder einen auch übers "Ohr hauen". In einem staatlichen Kaufhaus konnte ich mir das nicht vorstellen, aber dem war so. Die Verkäuferin, nachdem ich mich entschieden hatte, schrieb eine Zahl auf einen Zettel, da flüsterte mir Djin zu ich solle eine weit kürzere darauf schreiben. Um Preise feilschen das lag mir eigentlich nicht. Im Laufe der Wochen gewöhnte ich mich daran und es machte dann doch einigen Spaß mit einem Händler zu handeln und um Preise zu feilschen. Auf diese Besonderheit komme ich noch zu gegebener Zeit zu sprechen.

Die Tage vergingen im Fluge. Nicht sicher bin ich, ob das Xian war, oder an einem anderen Ort. Djin führte mich einmal an eine Buddha-Statue die sie mit "Der hundertarmige Buddha" bezeichneten. Die Arme nachzählend sagte ich zu Djin: "Der Buddha hat nur zweiunddreißig, wieso sagt ihr 'der Hundertarmige'?"
Djin erklärte mir, dass alles was über zehn sei, sei immer sehr viel und da wäre die nächsthöhere Zahl eben Hundert. In diesem Zusammenhang wird noch einiges zu berichten sein.
Bei dieser Erklärung begann ich das erste Mal darüber nachzudenken, wie das abstrakte Denkvermögen bei den Asiaten aussieht, wie es zustande kommt, wie sie das Denken umsetzen, oder abstrakt potenzieren.


Die chinesischen Menschen

Nach noch nicht einmal der Hälfte der Konzertreise spürte jeder wie beeindruckend die Menschen auf einen wirken. Man möchte wissen wie sie leben, wie sie arbeiten, was sie essen, also alles das, was für uns neu und fremd erscheint.
Djin fragte ich einmal, nachdem ich einiges beobachtet hatte, was essen die Leute so am Tag? Er meinte nur: die einfachen Menschen sind glücklich wenn sie drei Schüsseln Reis am Tag zu essen bekommen. Als ich das hörte beschämte mich das aufs äußerste. Wir lebten - auf Deutsch gesagt – in "Saus und Braus" und die Chinesen? - mit "drei" Schüsseln Reis.

Das gezeigte Bild demonstriert am besten die Lebensart der Menschen. Dazu möchte ich bemerken, dass die chinesischen Funktionäre nicht besonders erfreut waren wenn unsere Kollegen in den sog. "Armenvierteln" fotografierten oder filmten.

Es ist eine seit Jahrtausenden gewohnte, alte Lebensart, die für uns ärmlich aussieht, die aber den einfachen Menschen vollkommen genügt und sie glücklich und zufriedenstellend zu machen scheint.



Drei Schüsseln Reis


Straßenverkehr


Diese Tradition kann nur durchbrochen werden, wenn Frieden herrscht, Demokratie entsteht und die Menschen ihre innere Freiheit wieder gewinnen.

Das andere Bild zeigt wie die Menschen arbeiten. Das, was bei uns ein LKW transportiert, wurde 1959 noch mit den Lastenrikschas bewältigt. Von Djin ließ ich mir sagen, dass bis zu einer Tonne auf diesen Gefährten gezogen werden müssen. Unglaublich, noch dazu bei dem Gewimmel auf den Straßen, natürlich mit dem heutigen nicht vergleichbar und doch schon ein lebhaftes Durcheinander. Manchmal fragte man sich: wie funktioniert das? Verkehrsregeln schien es nicht zu geben.

Noch ein drittes Bild möchte ich hier einfügen: Die Kinder!



Kinder

Diese kleinen Kerlchen, gleich ob Mädchen oder Jungens, strahlten eine Zufriedenheit aus, weder schüchtern, noch verängstigt. Natürlich neugierig, weil sie noch nie "Langnasen" gesehen hatten, dazu noch mit Film- oder Fotoapparaten.

Wenn man die heutige Entwicklung Chinas betrachtet, wie sich dieses Volk entwickelt hat, dann meine ich, könnten diese drei bis vierjährigen heute vielleicht Manager von Industrien sein.

Überall wo ich hinkam fand ich das gleiche Bild: Glückliche, zufriedene Kinder! Da kommt nach dem 2. Weltkrieg das Bedürfnis auf und der Wunsch, dass der Menschheit der Frieden erhalten bleibt. Der einfache Mensch hat dieses Bedürfnis ohnehin und man fragt sich, wer sind die Antreiber, die Macher, die immer wieder dieses friedliche Zusammenleben zerstören.
Man sollte sie "auf den Mond" schießen!

Die Tage in Xian neigten sich dem Ende zu und es begann eine neue Etappe. Dachten wir bis dahin wir hätten schon vieles erlebt das kaum mehr überboten werden könnte, dann irrten wir uns wie zu Beginn der Reise.

Auf nach Chongqing (Tschungking), die interessanteste und unglaublichste Eisenbahnstrecke die ich in meinem Leben gefahren bin.